Vor wenigen Wochen ist mit »Blut und Kupfer« der vierte historische Roman der Autorin Constanze Wilken erschienen. In diesem Interview erzählt die Autorin von ihrer Faszination für die Scagliola, bodenständigen Alchemisten und einer zweiköpfigen Hündin.
Ein Gespräch »über alles Wissbare und manches andere…«*
Quo Vadis (QV): Im ersten Kapitel stirbt ein Alchemist. Er besaß vier wertvolle Kupferstiche. Sie alle zeigen alchemistische Motive, die als Vorlage für Tischplatten aus Stuckmarmor dienten. — Auf deiner Website ist zu lesen:
»Wer meine Romane kennt, weiß, dass mich als Kunsthistorikerin ausgefallene oder kaum bekannte Kunstwerke faszinieren.«
Hand aufs Herz: Gibt es diese sagenumwobenen Scagliola-Tafeln wirklich oder sind sie der Phantasie der Schriftstellerin entsprungen?
Constanze Wilken (CW): Die Tafeln mit den alchemistischen Motiven existieren nicht, aber – ich habe in einer Privatsammlung und in der Münchner Residenz faszinierende Tafeln gesehen, teils mit ausgefallenen Motiven, zum Beispiel eine geheimnisvolle Jagdszene mit einem Schloss im Hintergrund und einer Figur, die sich im Unterholz versteckt.
QV: Was fasziniert dich an dieser Kunstform?
CW: In der »Malerin von Fontainebleau« war ich vom enormen Können der Stuckateure beeindruckt, die dreidimensionale Rahmenhandlungen um die Fresken von Rosso Fiorentino erschufen. Ich finde es bewundernswert, was die Kunsthandwerker aus Gips machen können. Sacgliola ist ja eine Art Kunstmarmor und die Technik wurde von Blasius und Wilhelm Fistulator zur Meisterschaft gebracht. Die Tafeln, meist als Tischplatten verwendet, enthüllen erst bei genauem Hinsehen, dass es sich nicht um ein Gemälde, sondern um Intarsientechnik handelt. Es steckt ein enormes Wissen um das Zusammenwirken von Gips, Wasser und den Farbpigmenten hinter dieser Technik. Der Scagliola-Künstler ist also Kreativer, Gipser und auch Chemiker.
QV: Du schreibst auf deiner Website:
»Für diesen Roman habe ich in der Münchner Residenz recherchiert und mir besonders die Scagliolaarbeiten von Wilhelm und Blasius Fistulator angeschaut.«
Auf deiner Facebook Seite Blut und Kupfer sind einige dieser Innenaufnahmen aus der Münchner Residenz zu sehen. Vater und Sohn Fistulator haben sie exklusiv für Maximilian I. von Bayern geschaffen. Drei Fragen: Wie hat Maximilian I. Vater und Sohn an sich gebunden? Was machen ihre Kunstwerke so außergewöhnlich? Warum haben Vater und Sohn ihren Namen latinisiert?
CW: Maximilian hat die beiden Künstler exklusiv durch einen Vertrag an sich gebunden, d.h. sie durften nur für ihn arbeiten und das Geheimnis ihrer Kunst unter Strafandrohung nicht weitergeben. Dadurch sicherte er sich das Monopol in dieser Handwerkskunst. Die Reiche Kapelle, Kabinette, das fürstliche Privatoratorium, Kamin- und Türrahmen der Steinzimmer der Residenz wurden in Scagliola gestaltet. Diese Prachtentfaltung war eine gewollte Anlehnung an die Marmorinkrustationen kaiserlicher Paläste der Antike. Eine Zeitlang stand ja durchaus die Frage im Raum, ob Maximilian den kaiserlichen Thron beanspruchen sollte. Neben den großen Ausstattungen der Innenräume spezialisierten sich Vater und Sohn Fistulator auf Möbelstücke, die aus einer spannenden Vielfalt von Materialien und Techniken erstellt wurden und zum charakteristischen Sammlungsmöbel des 17. Jahrhunderts gehörten. In ihrer Besonderheit brachten sie das Konzept der Kunstkammer zum Ausdruck, ein Abbild der Welt im Kleinen zu sein.
Die Latinisierung von Namen war damals gängig und Fistulator klingt sicher eindrucksvoller als Pfeiffer.
QV: Eine andere Kunstform ist die Technik des Pietra-Dura. Rudolf II. beschäftigte an seinem Hof in Prag den Florentiner Künstler Cosimo Castrucci. Was ist das Besondere an dieser Technik und woher stammt sie ursprünglich?
CW: Pietra Dura bedeutet nichts anderes als Bild aus Stein. Hingerissen von dieser Kunsttechnik war ich bei einem Besuch des Palazzo Pitti in Florenz. Ich war absolut überwältigt von der Schönheit einiger Tischplatten, die in prachtvoll leuchtenden Farben Muscheln, Blumen und Vögel darstellten. Man stelle sich vor, dass diese detailfreudigen Motive aus Edelsteinen geschnitten und auf einer Holztafel zusammengesetzt wurden. Die Hofwerkstatt der Medici vervollkommnete diese Technik, die zu den königlichen Disziplinen der Kunst gezählt wurde, denn allein das wertvolle Material entsprach dem Status der Fürsten. Noch heute werden in der Florentiner Manufaktur Commessi nach eigens entworfenen Modellen gefertigt.
Seit dem 16. Jahrhundert geht man so vor, dass ein Gemälde oder häufiger eine aquarellierte Zeichnung vorliegt, die frei in das Medium des Steins übertragen wird. Darin liegt letztlich das Können des Künstlers – mit schöpferischer Phantasie die Farben in die Steinschneidekunst zu übertragen. In einer Werkstatt wurden die einzelnen Arbeitsschritte auf mehrere Künstler übertragen, um die Arbeitszeit zu verkürzen. Das Modell musste in verschiedene Segmente zerlegt werden, dann wurden die Steine ausgewählt, von denen man annahm, dass sie die richtigen Effekte von Licht und Schatten, sfumato, erzeugen könnten. Es kam nicht von ungefähr, dass die Großherzöge die Florentiner Commessi als »Malerei in Stein« rühmten. Es folgen eine ganze Reihe weitere Arbeitsschritte, das Schneiden von hauchdünnen Scheiben, Schmirgeln, Schleifen mit Pulver aus Flußsand etc.
Es gibt ein ganz wunderbares Buch von Annamaria Giusti über die »Bilder aus Stein«.
QV: Der Wittelsbacher ist von Jesuiten erzogen worden. Der Orden war zur damaligen Zeit ein noch sehr junger. Was mach(t)en die Jesuiten aus? Warum wurden sie so schnell so erfolgreich?
CW: Es fällt wirklich schwer, sich bei diesen Fragen kurz zu fassen – ich versuche es: 1534 verband Ignatius von Loyola sich und seine Gefährten auf dem Montmatre durch ein Gelübde, 6 Jahre später genehmigte Papst Paul III. das geheime Grundstatut der Gemeinschaft. Die Ordensgründung war Teil einer katholischen Erneuerungsbewegung. Von den Ordensmitgliedern wurde absolute Unterwerfung unter die Heilige Schrift und die Lehre der katholischen Kirche erwartet. Ignatius v. Loyola sagte: »Ich glaube, dass weiß schwarz ist, wenn die Kirche es so definiert.«
Die Ordensmitglieder werden in den »Monita Secreta« (geheime Ermahnungen) dazu angehalten, jedes Mittel anzuwenden, um Macht und Wohlstand des Ordens zu mehren, Einfluss auf die Großen und Mächtigen der Welt zu nehmen. So sollen sie sich zum Beispiel als Beichtvater großzügiger zeigen als Geistliche anderer Orden, politische und andere Geheimnisse der Fürsten durch Bestechung ihrer Günstlinge und Diener herausfinden, Armen gegenüber großzügig sein. Die Jesuiten betreiben eine neue Form der Glaubensverbreitung »Propaganda Fidei«. Ordenshäuser werden in großer Zahl gegründet, wo das nicht möglich war, sickerten Jesuiten versteckt ins Land, sie arbeiten als Prediger, Seelsorger und gründeten Schulen und Universitäten. Es ist Programm der Jesuiten, den Prunk katholischer Zeremonien zu feiern, barocke Baukunst zu fördern, quasi alles, was bei Lutheranern und Calvinisten verpönt war.
QV: Rudolf II. hatte Prag im 16. Jh. zur Residenzstadt erhoben. Er holte Wissenschaftler wie Tycho Brahe an seinen Hof, Kepler oder Maler wie Arcimboldo. Wie muss man sich das Prag des 16. Jh. oder des beginnenden 17. Jh. vorstellen?
CW: Rudolf II. gehört zu den schillerndsten Herrschern seiner Zeit. Prag erlebt eine kulturelle Hochzeit, denn Rudolf fördert Künste und Wissenschaften wie kaum ein anderer. Auch die Castruccis, die berühmten Steinschneider aus Florenz, werden von ihm nach Prag gerufen und erschaffen in seinem Auftrag einen kostbaren Prunktisch, der von Boetius de Bodt als das achte Weltwunder gepriesen wurde. Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten und so tummeln sich im Umfeld des labilen Kaisers und der großen Künstler auch viele Scharlatane. Betrüger wie Edward Kelley und John Dee brachten die Alchemie in Verruf.
QV: Führte dich eine deiner Recherchereisen auch nach Prag?
CW: Für die »vergessene Sonate« war ich in Prag und die großartige Stadt hat mich bezaubert.
QV: Sammelten viele am Hof tätige Kunst, weil Maximilian dies vorlebte und sie ihm nacheifern wollten? Eine Szene im Buch erinnerte mich an Begebenheiten aus der Antike und später u.a. aus der modernen Ägyptomanie. Man trifft sich im Landhaus eines vermögenden Bürgers oder Aristokraten, dieser präsentiert seine neuesten Kunstschätze. Englische Aristokraten wickelten als besonderes Event — das ist sicherlich vielen bekannt — echte Mumien aus.
CW: Es gehörte zum guten Ton, sich mit ausgefallenen Kunstwerken zu schmücken und zu den Repräsentationspflichten eines Aristokraten. Maximilians bevorzugter Kunstagent Hainhofer war auch für die Fugger und andere tätig.
Neben Gemälden von angesagten Künstlern stellte man gern abartige Seltsamkeiten aus, wie die zweiköpfige Hündin.
QV: Zur Zeit Maximilians II. von Bayern gab es das sogenannte Ridlerkloster — im Nachwort deines Buches erwähnst du Dr. Neumann, der dich auf das Kloster aufmerksam gemacht hat. Was für eine Geschichte steckt hinter dem Kloster?
CW: Mit dem Ridlerkloster verhält es sich tatsächlich so, wie im Roman dargestellt. Es wurde von und für reiche Witwen, Töchter gegründet und viele Hofdamen der sehr frommen Elisabeth von Lothringen wurden dort untergebracht. Man gelangte durch eine Tür von der Residenz ins Kloster.
QV: Jedes neue Kapitel wird durch ein Zitat eingeleitet. Du lässt Stimmen wie die von Giordano Bruno, Heinrich Kunrath (Thrasibaldus), Michael Maier, Amos Comenius oder Gabriel Rollenhagen zu Wort kommen. Was verbindet sie? Und warum hast du dich für ein Zitat von ihnen entschieden?
CW: Männer wie Giordano Bruno waren die Freigeister jener Zeit, sie wagten sich in Bereiche jenseits der kirchlichen Dogmen und entwarfen, zum Teil abenteuerliche, Theorien über die Verbindung von Alchemie und Religion. Sie waren Philosophen und Wissenschaftler und betrieben Alchemie als ernst zunehmende Lehre. Bruno beispielsweise war der erste, der das kopernikanische Weltbild metaphysisch interpretierte. Die Endlosigkeit des Alls und sein fester Glaube an die Natur führten ihn zu seinem pantheistischen Weltbild. Heute gilt Bruno als Symbol der Gedankenfreiheit und Kämpfer gegen engstirnigen Klerikalismus. Ihre Zitate geben die verschiedenen Stimmungen der Zeit wieder, sind für mich Hoffnungsschimmer im Dunkel einer Geisteshaltung, die von der Kirche aufoktroyiert wurde.
QV: Andere Zitate stammen von Hildegard von Bingen, Cicero, viele von Plinius d.Ä. Kanntest du die Schriften schon vorher oderhast du sie speziell für dieses Buch gelesen?
CW: Für andere historische Romane und während meines Studiums der Kunstgeschichte bin ich mit diesen Schriften in Kontakt gekommen. Die großen Denker vergangener Epochen haben bis heute Gültigkeit. Gerade gibt es eine Wiederentdeckung der Heilkunst Hildegard von Bingens.
QV: Welche anderen Quellen, welche weiterführende Literatur hast darüber hinaus für dieses Buch gelesen?
CW: Ich habe ein ganzes Regal voller Sekundärliteratur zu »Blut und Kupfer«: verschiedene Bücher über das historische München, Biographien über Maximilian, Handbücher zur Kostümgeschichte, auch eines zur Unterwäsche im 17. Jahrhundert, Ausstellungskataloge zur Residenz, Schütts »Geschichte der Alchemie« war sehr hilfreich, »Die Jesuiten in Bayern«, Plinius, Agricola, Steinbücher, Berlings »Zodiak«, »Prag um 1600« etc. …
QV: Die Alchemie hat ihren Ursprung bei den Ägyptern und den Griechen. Somit ist sie eine sehr alte Wissenschaft. Heute assoziieren Menschen mit dem Begriff Alchemie wohl sofort: Stein der Weisen, Umwandlung von Gestein in Gold usw. Welche Vorstellung hast du vorab von der Alchemie gehabt? Und wie hat sich deine Einstellung eventuell im Zuge der Recherche verändert?
CW: Durch mein Studium war ich sicher vorbelastet und wusste, dass Alchemisten durchaus boden- ständige Wissenschaftler sein konnten. Aber wer kann sich der Faszination der Frage nach dem Geheimnis des ewigen Lebens entziehen? Was damals der Stein der Weisen war, ist heute die Gentechnik.
CW: Maximilian war ein Gegner jeglicher schwarzer Magie und Hexerei und erließ diesbezüglich zahlreiche Mandate. Wahrscheinlich war seine Abneigung durch die Erfahrungen seines Vaters geprägt, aber er war eben auch ein sehr rationaler und kluger Fürst.
QV: Elisabeth galt als ebenso tiefgläubig wie ihr Ehemann Maximilian I. In »Blut und Kupfer« wirkt sie wie ein ätherisches Wesen. Woran hast du dich bei der Darstellung ihrer Figur orientiert?
CW: Da habe ich mich auf die Quellen verlassen, die ich in einem sehr umfassenden Ausstellungskatalog der Residenz gefunden habe. Es gibt dort zahlreiche Belege für die Gläubigkeit von Elisabeth, ihre Bücher, Rosenkränze etc. sind abgebildet und auch ihr sanftes Wesen wird von Zeitzeugen beschrieben.
QV: In einer Szene im Buch beschreibst du gesellschaftliche Tänze. Woher wissen wir heute welche Schrittfolgen, Abläufe, Besonderheiten usw. Tänze wie z.B. die Gavotte hatten?
CW: Auch da habe ich Quellen und Sekundärliteratur zu Rate gezogen.
QV: Zu welcher Musik hat man damals getanzt? Hast du Werke von Komponisten des Barock gehört, um dich mit der Musik dieser Zeit vertraut zu machen oder kanntest du diese Musik schon vorher?
CW: Bei der Arbeit an der »Lautenspielerin« habe ich mich intensiv mit Renaissancemusik befasst. Während des Schreibens habe ich viel alte Musik gehört, u.a. von Adrian Willaert, Tromboncino und Pettrucci.
QV: In deinem Buch sprichst du auch Themen wie Hexerei/Zauberei und Sodomie an. Überführte Hexen und Sodomiten wurden gemeinhin verbrannt. Gab es unter Maximilian Urteile dieser Art? Gemäß der Carolina, diese stellte Hexerei/Zauberei sowie Sodomie unter Strafe.
CW: Es gab strenge Mandate gegen Aberglauben, Hexerei und Zauberei. Jede Verbindung mit dem Teufel wird darin mit Verbrennen bestraft. Bei Anwendung von Schadenszauber soll der Verurteilte vor dem Verbrennen mit glühenden Zangen gezwickt werden. Auf Ehebruch stand die Todesstrafe und Maximilian achtete auf die Einhaltung seiner Erlässe.
QV: Der Titel des Buches passt sowohl zur Kunst als auch zur Alchemie. Hast du dir den Titel überlegt?
CW: Meine Titelvorstellung ging in eine andere Richtung, aber inzwischen habe ich mit dem Titel angefreundet.
QV: Wie lange hast du an dem Roman gearbeitet, inkl. Recherchereisen?
CW: Etwa ein Jahr.
QV: Woran arbeitest du aktuell?
CW: An einem Gegenwartsroman, dessen Schauplatz in Wales liegt.
QV: Vor einer Weile haben Autoren ihre Schreibtische fotografiert und ins Netz gestellt. Wie müssen sich deine Leserinnen und Leser dein Reich vorstellen — steht dein Laptop, Bildschirm oder ähnliches auf einem Intarsien verzierten Tisch?
CW: Mein Arbeitsplatz ist eher funktional, Bildschirm, großer Schreibtisch, leider ohne Intarsien, dafür bin ich von Büchern, Bildern und Kunst umgeben und ganz wichtig – unter meinem Schreibtisch haben meine Hunde ihre Körbchen und leisten mir Gesellschaft beim Schreiben. Die Katzen gesellen sich nach Lust und Laune dazu. Das kennst du ja…
*(nach Pico della Mirandola, Conclusiones)
Die Fragen stellte Alessa Schmelzer